1 Tisch, 40 Kisten
und kein Schrank

Soloausstellung im Museum Wilhelm Morgner Soest, 2019

Katalogtext Boaz Levin (gekürzt)

[…] Wie schafft man ein Zuhause? Das ist keine leichte Frage. Sie klingt nach Bourgeoisie oder Solipsismus, aber auch nach der Lektüre von „Schöner Wohnen“, Lifestyle-Blogs und Ratgebern. […] Das Zuhause verdient unsere Aufmerksamkeit – und wir alle (ob das nun gut ist oder nicht) machen uns Gedanken darüber, meist wenn wir Kisten aus- oder Koffer einpacken. Vielleicht verrät uns dieses wachsende Interesse am Aufräumen und Sortieren etwas über einen Mangel und ist bezeichnend für eine Unsicherheit? Kolonisiert durch Kataloge und umfunktioniert zu Homeoffice plus Ferienwohnung: Das Zuhause – als Rückzugsraum oder Wohntraum – scheint flüchtig. […]

In diesem Spannungsfeld beginnt Nele-Marie Gräber ihre Topo-Analyse – eine Exkursion in Form von Skulpturen mit dem Ziel jener fragilen Orte unseres inneren Lebens und (kurzer) Intimität – und versucht den Knoten aus Gedanken, Erinnerung und Träumerei zu lösen. Dabei bietet sie vielfältige Antworten auf die Frage nach einem Zuhause und einem Ort zum Träumen, dem Leben mit Dingen. Ihre skulpturale Grammatik ist hybrid. Sie verbindet eine streng modernistische Palette geometrischer Formen und architektonischer Sensibilität mit einer Explosion an Figuren, Farben, Stoffen und Keramik. Ihre Protagonisten: eine Bank mit Pfau, weggeworfene Socken, ein Tisch im Wandel, ein bodenlanges Kleid als Raumtrenner, Kunstblumen und Tagträume von einem tropischen Modernismus. […]

In diesem Kontext haben Gräbers Arbeiten eine erlösende Qualität. Ihre Objekte – anders als die sinnbefreite Kunst, die Benjamin den Sammlern des 19. Jahrunderts zuschreibt – nähern sich der Funktionalität ganz spielerisch und fassen sie in einem schlichten und modernen Sinn. […] 

Wie packt man 40 Kisten aus? Wo bringt man ein Leben unter, wenn nicht in einem Schrank? Lassen sich Erinnerungen aussäen? Vielleicht bewegen sich ihre Arbeiten innerhalb dieses Rahmens, lassen ihre abstrakten Formen nachklingen, wirken dabei vertraut, aber doch irgendwie fremd. Welche Fragen auch gestellt werden, es geschieht indirekt, diskret, immer in Abgrenzung von der modernen Skulptur – und immer im Dialog mit funktionalem Design als Gegenstück. Mit ihrer träumerischen Verspieltheit aktiviert Gräber die Besucher und bewahrt sich dabei formale Klarheit und Komposition.

Anlass für die Ausstellung war der Arbeitsaufenhalt als Wilhelm-Morgner-Stipendiatin im 2.Halbjahr 2014 in Soest, zur Ausstellung erschien ein Katalog.